Buchbesprechung in der Auftakt! Ausgabe 1-2022, von Steffen Trekel:
Alfred Woll hat mit seinem Buch „Die Kunst des Mandolinenbaus“ ein wichtiges und bisher einzigartiges Werk geschaffen
Alfred Woll ist mittlerweile in den Kreisen der professionellen aber auch Amateur-Mandolinisten ein Name, der für hervorragende Instrumente steht. Nun hat er ein wegweisendes Buch über die Entwicklungsgeschichte und den Bau von Mandolinen geschrieben. Um seine Intention zur Erstellung dieses faszinierenden Buches zu verstehen, möchte ich einige eigene Erfahrungen voranstellen.
Persönliche Einleitung
Ich selbst konnte Alfred Wolls Werdegang als Bauer von klassischen Mandolinen von seinen ersten Begegnungen mit der professionellen Mandolinenwelt rund um Marga Wilden-Hüsgen und dem Lehrstuhl für Mandoline in Wuppertal an verfolgen. So durfte ich die allererste Vorstellung seiner Instrumente innerhalb der Mandolinenklasse und die Begutachtung seiner frühen Instrumente 1993 als Student miterleben. Schon damals waren das Design und die Verarbeitung der Instrumente Zeugnis eines hervorragenden Handwerkers und Ästheten. In den nun fast 30 Jahren seines Wirkens im klassischen Mandolinenbau habe ich selbst diverse Instrumente von ihm „auf den Leib geschneidert“ bekommen, habe einige hochwertige Instrumente von Alfred Woll restaurieren lassen und war in der gesamten Zeit in regem Austausch mit ihm.
Dabei faszinierte mich schon immer seine Ausrichtung als Mandolinenbauer: Er baute nicht überwiegend neue Instrumente, wie die anderen (ebenfalls sehr guten) Mandolinenbauer dies in der Regel tun. Dies hätte ihm ganz sicher bis heute die Auftragsbücher gut gefüllt. Er nahm stattdessen nur eine begrenzte Anzahl an Aufträgen an (was die über Jahre stabile, für Interessenten fast nicht zu ertragende Wartezeit von etwa 7 Jahren für neue Instrumente erklärt) und ließ sich viel Zeit, um historische Instrumente zu erforschen und zu restaurieren. Er wollte von den großen Meistern lernen und dadurch seine Instrumente immer besser werden lassen. Alfred Woll war stets fasziniert von historischen Mandolinen, schloss sich tagelang in Museen ein, um Instrumente zu studieren, zu vermessen und zu verstehen. Genauso erforschte er jedes einzelne Instrument, das zur Reparatur oder Restaurierung in seine Werkstatt kam. Neben der fast wissenschaftlichen Untersuchung der Instrumente mit Notizen zu Größe, Form, Holzauswahl und -dicke, Schwingungseigenschaften, Deckenbebalkungen uvm. erstellte er von allen Instrumenten hochwertige Fotos, von denen man in seinem Buch eine wunderbare Auswahl findet.
Ich habe Alfred Woll in den vielen Jahren als sehr sensiblen und feinsinnigen Menschen erlebt, der in allen Bereichen seines Wirkens höchste Perfektion und eine große Ästhetik anstrebte. Jedes Teil seiner Instrumente ist bis ins kleinste Detail perfekt gestaltet und designt, wie z.B. Ärmelschoner, feinste Verzierungen, aber auch die von außen unsichtbaren Balken.
Als ich davon hörte, dass Alfred Woll ein Buch über den Mandolinenbau schreiben würde, war ich sicher, dass auch dieses Werk (genau wie seine Instrumente) umfassend recherchiert, gut strukturiert und ästhetisch ansprechend sein wird. Als ich das Buch vor wenigen Monaten in den Händen hielt, wurde dies vollumfänglich bestätigt. Ich habe jedes Wort mit größtem Interesse und Begeisterung studiert und verstehe nun viel besser meine eigenen Instrumente, deren Klang sowie das große Können und Wissen, das Instrumentenbauer für die Herstellung von meisterhaften Instrumenten seit jeher benötigen.
Das Buch
„Die Kunst des Mandolinenbaus“ enthält zwei Teile: 1. Geschichtliche Betrachtung des Mandolinenbaus, 2. Bau einer modernen Mandoline. Nach einleitenden Worten durch seine wichtigste Ansprechpartnerin Prof. Marga Wilden-Hüsgen, steigt Alfred Woll in die Geschichte des Mandolinenbaus ein, indem er eine kurze Betrachtung der Geschichte der Mandoline voranstellt. Ich persönlich wünsche mir für die Zukunft, dass sich die Musikwissenschaft mehr und intensiver mit der Geschichte des Instrumentes befasst, denn die Inhalte unterscheiden sich wenig von dem Wissen, das ich in meinem Studium vor ca. 30 Jahren erhalten habe. Ich bin sicher, da gibt es noch viel mehr zu entdecken, und die Mandoline hat dies verdient!
Die Intention des Autors besteht in diesem Buch aber nicht darin, die allgemeine Geschichte des Instrumentes zu beleuchten, sondern er ist fokussiert auf die Geschichte des Mandolinenbaus und dies vor allem seit der romantischen Ära, also ab Ende des 19. Jahrhunderts. So beinhaltet das nächste große Kapitel eine Betrachtung der wichtigsten Mandolinenbauer in Italien um 1900, also der Familie Vinaccia, Luigi Embergher und der Familie Calace. Diese drei großen Instrumentenbauer bzw. -familien werden jeweils mit deren Geschichte, Stammbaum, Werkstätten etc. historisch betrachtet, bevor es um die eigentlichen Instrumente geht.
Sehr aufschlussreich zeigt Alfred Woll auf, wie sich auch bei den großen Mandolinenbauern die Instrumente über die Jahre teilweise grundlegend aber auch in Kleinigkeiten verändert haben. An Beispielen wie Bebalkungen, Korpusformen, Verwendung von Hölzern, Dicke des Deckenholzes, Stegformen und anderen Dingen zeigt der Autor, wie unterschiedlich verschiedene Instrumente klingen können und müssen, wenn gewisse Veränderungen vorgenommen werden. Schon hier beginnt man, als Mandolinist zu verstehen, dass im Instrumentenbau rein gar nichts zufällig ist und die kleinsten Dinge entscheidende Auswirkungen auf den Klang der Instrumente haben. Diese Zeitreise durch den Mandolinenbau ist nicht nur durch die fundierten Betrachtungen und die durch fotografisch detailreich dargestellte Sachverhalte sowie von Alfred Woll selbst angefertigte Skizzen spannend nachzuvollziehen, sondern lässt schon hier den Blick auf seine eigenen Instrumenten in neuem Licht erscheinen.
Fabelhafte Abbildungen wichtiger und wunderschöner Instrumente
Selbst wenn man nicht in die letzten Geheimnisse des Mandolinenbaus einsteigen möchte, ist dieses Buch durch die fantastischen Fotos traumhafter Instrumente allein schon wert, es genauer zu betrachten und zu genießen. Neben vielen kleineren Abbildungen verschiedener Mandolineninstrumente werden einige besonders schöne Instrumente auf Doppelseiten großformatig vorgestellt. Diese Seiten zeigen:
• Gesamtansicht von vorne
• Seitenansicht
• Ansicht von hinten
• Ganzseitiges Foto mit besonderen Details wie Schallloch, Spielplatte, Kopf, Verzierungen, Mechaniken uvm.
• Zettel
• Weitere kleine Ausschnitte
• Kurze Beschreibung des Instrumentes in Textform
Das Ende des Kapitels über den Mandolinenbau in Italien bildet eine Beschreibung des „Traditionellen Herstellungsprozesses einer italienischen Mandoline” (um 1900). Dabei werden alle grundlegenden Arbeitsschritte beschrieben, die prinzipiell bei allen Instrumentenbauern ähnlich sind, und es werden Besonderheiten einzelner Mandolinenbauer gezeigt.
Der Mandolinenbau in Deutschland
In den nächsten Abschnitten wird die Entwicklung des Mandolinenbaus in Deutschland betrachtet. Dies geschieht in drei Kapiteln:
• Die Mandoline in Deutschland
• Die Entstehung der Seiffert-Mandoline
• Schritte zur eigenen (Woll-) Mandoline
Im ersten Abschnitt stellt Alfred Woll die geschichtliche Entwicklung des Mandolinenbaus in Deutschland dar. Dabei ist interessant zu sehen, dass es neben Instrumentenbauern, die versuchten, die großen italienischen Vorbilder zu kopieren, sehr früh eigene Entwicklungen, sehr hochwertige Instrumente, aber auch neue Modelle wie Flachmandolinen verschiedener Qualitätsstufen und auch sehr viele minderwertige Instrumente gab. Der Bedarf an Instrumenten war Anfang des 20. Jahrhunderts immens groß und es entstanden Fabriken und Gebiete (z.B. im Vogtland), in denen hunderte Mandolinenbauer aktiv waren, um den Bedarf zu stillen.
Die Entstehung der Seiffert-Mandoline, initiiert durch Marga Wilden-Hüsgen, markierte in Deutschland einen Wendepunkt im Mandolinenbau. Heute gibt es eigentlich keine deutschen Mandolinenbauerinnen und Mandolinenbauer mehr, die sich nicht auf dieses großvolumige Instrument beziehen. Interessant ist zu lesen, wie es zu diesem neuen Mandolinentyp kam.
Im letzten Teil der geschichtlichen Entwicklungen im Mandolinenbau beschreibt Alfred Woll seinen eigenen Werdegang bzw. die Entstehung seiner Mandolinenmodelle. Er hat nie eine Instrumentenbauerlehre gemacht, sondern ist Autodidakt und fing als Folkmusiker früh an, erste Instrumente zu reparieren und auch zu bauen.
Durchaus kritisch hinterfragt er sich und seine spannende Biographie. Dabei sprühte er stets vor Wissensdurst, war zeitlebens experimentierfreudig und beschreibt sehr anschaulich, wie er nahezu wissenschaftlich jedes kleinste Teil der Mandoline durchleuchtet und nach neuen und besseren Wegen sucht. Daraus entstanden bis heute mehrere moderne Modelle, sowie seine historischen Nachbauten und weitere Modelle aus der Mandolinenfamilie, die auf eigenen Erfahrungen und Erkenntnissen aus seinen Restaurierungen beruhen.
Anleitung zum Bau einer modernen Mandoline
Im zweiten Teil des Buches gibt Alfred Woll praktisch sein gesamtes Wissen zu allen Einzelheiten rund um den Mandolinenbau preis. Es ist absolut bemerkenswert, wie offen er seine Geheimnisse, sein Wissen, Tricks und Kniffe offenlegt. Alfred Woll erzählte mir vor einiger Zeit, dass seine Auftragsbücher so voll sind, dass er nie Angst haben muss, unterbeschäftigt zu sein. Ihm ist es aber wichtig, dass er sein Wissen nicht mit ins Grab nimmt, sondern an möglichst viele Menschen weitergibt, damit es auch in Zukunft viele gute Mandolinenbauer gibt. Seine Intention ist, mit diesem Buch anderen Menschen zu helfen, hervorragende Mandolinen zu bauen. Diese Offenheit ist ihm hoch anzurechnen.
In dem etwa 110 Seiten umfassenden 2. Teil des Buches beschreibt Alfred Woll in allen einzelnen Schritten den Bau einer modernen Mandoline (Seiffert-Modell). Neben zahlreichen Bildern beschreibt er jeden einzelnen Arbeitsschritt und gibt Hinweise, wie man sie am besten ausführt. Faszinierend ist, mit welcher Akribie er jedes Teil mit Schablonen, Zeichnungen speziellen Werkzeugen etc. vorbereitet, um über Jahre hinweg gleichbleibende Qualität zu garantieren. Spannend zu sehen ist die große Anzahl von Werkzeugen, Maschinen und Messinstrumenten, die Alfred Woll in seiner gut ausgestatteten Werkstatt benutzt.
Es würde hier den Rahmen des Artikels sprengen, jeden Arbeitsschritt zu beschreiben, deswegen hier nur die wichtigsten Abschnitte:
• Erstellen von Bauplänen, Schablonen, Zeichnungen
• Herstellung von Formen (z.B. Mandolinenstock)
• Holzauswahl
• Fertigung der Decke
• Herstellung der Muschel
• Aufsetzen der Decke
• Fertigung und Einsetzen des Halses
• Griffbrett, Bünde, Sattel
• Lackaufbau und Politur
• Steg, Mechanik
• Einrichtung der Saitenlage
Auch wenn ich selbst nie vorhatte, eine Mandoline zu bauen, habe ich diesen Teil des Buches höchst interessiert verschlungen, denn er hat in mir ein Verständnis für mein Instrument und eine große Hochachtung für alle Instrumentenbauer erzeugt, die hochwertige Meisterinstrumente bauen. Der Titel des Buches „Die Kunst des Mandolinenbaus“ wird hier ganz besonders deutlich, denn all diese Instrumentenbauer sind wahre Künstler.
Im Nachgang zur Beschreibung des Baus einer Mandoline, gibt Alfred Woll Tipps zur Pflege und Instandhaltung des Instrumentes, wie z.B. Reinigung, Pflege, Wechseln der Bünde, oder Korrektur der Saitenlage. Nicht alles wird jeder selbst an seinem Instrument umsetzen wollen und können, aber z.B. für mich als Mandolinenlehrer ist es interessant, denn kleinere Reparaturen an den Schülerinstrumenten muss ich immer wieder mal vornehmen und habe wertvolle Tipps dafür erhalten.
Fazit
Alfred Woll hat mit seinem Buch „Die Kunst des Mandolinenbaus“ ein wichtiges und bisher einzigartiges Werk geschaffen, das schon allein durch die liebevolle und ästhetische Aufmachung mit den unzähligen Fotos der wunderschönen Instrumente zum Lesen und Bewundern einlädt. Die über Jahre hinweg gesammelten Bilder der zahllosen Instrumente, die durch seine Hände gingen, machen das Buch fast zum Nachschlagewerk für italienische Mandolinen. Darüber hinaus zeigt das Werk das umfassende Wissen eines Meisters seines Faches, das er freimütig weitergibt und damit Instrumentenbauern einen wichtigen Leitfaden an die Hand gibt. Die Akribie und Liebe, die Alfred Woll bei dem Bau seiner Instrumente an den Tag legt, hat er mit einer immensen Arbeit auch in dieses Buch gelegt. Für jeden, der die Mandoline liebt, ist dieses Buch ein absolutes Muss!
Diese Buchbesprechung von Steffen Trekel (Bundesmusikleiter des BDZ), erschien in der Auftakt! Ausgabe 1-2022, (Magazin des Bund Deutscher Zupfmusiker e.V.)